Aikido wird oft als die modernste Form japanischer Selbstverteidigung beschrieben. Andererseits gehört Aikido zu den traditionellen japanischen Kampfkünsten. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, erweist sich bei genauerer Betrachtung als die Geschichte der japanischen Kampfkünste (budô) schlechthin bzw. als deren Fortführung.
Der Gründer des Aikido, Ueshiba Morihei (1883–1969), hat es nicht aus dem Nichts erschaffen. Vielmehr reichen die Wurzeln des Aikido, wie auch die anderer japanischer Kampfkünste, weit in die Vergangenheit seines Ursprungslandes zurück.
So genannte aiki-jûjutsu-Techniken werden bereits Prinz Teijun, dem sechsten Sohn des Kaisers Seiwa (Regierungszeit 850–880 n. Chr.) zugeschrieben. Innerhalb des Samurai-Clans der Minamoto wurden diese Techniken von Generation zu Generation weitergegeben und verfeinert:
Alle Formen des budô entstanden in der äußerst gewalttätigen Geschichte des feudalen Japans. Das Land war Jahrhunderte lang geprägt von blutigen Fürstenkriegen, und dementsprechend wurden die Samurai, Angehörige der Kriegerklasse, ausgiebig in den Kriegskünsten unterwiesen. Dabei waren den hoch stehenden Vasallen der Fürsten neben den verschiedenen Waffentechniken (Schwert, Speer, Hellebarde, Bogen etc.) die waffenlosen Techniken vorbehalten, die damals nur einen Teil des Gesamtspektrums bildeten, aus denen schließlich waffenlose Selbstverteidigungsarten hervorgingen, wie wir sie heute kennen.
Im Laufe der Zeit und vor allem unter dem Einfluss des Zen-Buddhismus wurden Kriegskünste neben ihrem eigentlichen Zweck immer mehr auch ritualisierte Übung zur Vervollkommnung der Persönlichkeit.
Takeda Sôkaku war der erste Meister des daitô ryû aiki jûjutsu, der nach dem radikalen Umbruch der japanischen Gesellschaft Ende des vergangenen Jahrhunderts diese Kunst einer gewissen Öffentlichkeit zugänglich machte.
Ueshiba Morihei, der bereits ausgiebige Erfahrungen in anderen Kampfkunst-Schulen gesammelt hatte, fand im aiki jûjutsu Takedas die Grundlage für die Umsetzung seiner eigenen Vorstellungen. Ueshiba war mit gleicher Hingabe sowohl auf der Suche nach perfekter Technik, als auch nach spiritueller Erleuchtung. Es war schließlich die Begegnung mit Deguchi Onisaburô, dem Oberhaupt der ômoto-kyô, einer Shinto-Sekte, die 1925 zu Ueshibas Vision der neuen Kampfkunst führte.
Nach seiner Vorstellung gehören weder Sieg noch Niederlage, auch nicht nur Vollkommenheit innerhalb gesellschaftlicher oder moralischer Dogmen zum Wesen des budô, sondern der Einklang mit den Gesetzen des Universums in allen Lebensbereichen, also auch der Schutz allen Lebens als Teil des Universums und aktive Teilnahme am Aufbau einer friedfertigen menschlichen Gesellschaft. Dementsprechend unterscheidet sich Aikido von anderen, budô-Disziplinen darin, dass es keine Wettkämpfe kennt.
Dieser Vision entsprechend, durften die Techniken von Morihei Ueshibas Aikido nicht vom Gedanken der Konfrontation, der Kräftekollision oder der Überwindung eines Gegners getragen sein, sondern vom Gedanken der Versöhnung gegensätzlicher Kräfte, der Vernichtung des Kampfes und der Gewalt. Sie mussten das eigentliche, das spirituelle Ziel verkörpern. Aus dieser Formel erwuchs das heute bekannte Aikido mit seinen typischen fließenden, kreisförmigen Bewegungen.
Die Prinzipien des Aikido haben ihre Gültigkeit jenseits aller Grenzen. Da es sich jeglicher Versportlichung im westlichen Stil, der zahlreiche Kampfkünste fernöstlicher Herkunft erlegen sind, verweigert, bleibt es eine traditionelle Kunst, die in Zusammenarbeit der jeweiligen Partner erlernt wird. Aikido ist aber auch ein Weg, der ohne weiteres modern genannt werden kann, wenn denn als modernverstanden wird, was unsere Zeit dringend benötigt:
AI – – Harmonie, Einklang
KI – – Lebensenergie
DO – Weg ständiger Übung